Wer fünfundzwanzig Jahre bei einem Unternehmen arbeitet, weiß am Ende wahrscheinlich eine Menge darüber, wie dieses Unternehmen funktioniert. Das dürfte auch für Nicholas Banasevic gelten – nur arbeitete er nicht bei einem Unternehmen, sondern bei der Europäischen Kommission. Dort war der Beamte lange Jahre im Generaldirektorat Wettbewerb tätig, also in der Behörde, die überwacht, was große Unternehmen so mit ihrem Geld tun.
Banasevic, ein studierter Wirtschaftswissenschaftler, war dort für die Einheit Informationstechnik, Internet und Verbraucherelektronik zuständig. 2021 leitete er sogar für einige Monate das ganze Direktorat, zu dem diese Einheit gehört. Diesen Posten verließ er dann bereits wenig später wieder –und wurde Anfang 2022 Direktor bei einer Kanzlei, die Klient:innen zu EU-Wettbewerbsfragen berät. Im Juli 2024 wechselte er dann noch einmal den Arbeitgeber, und zwar zu Microsoft. Dort leitet er jetzt die Wettbewerbsabteilung für Europa, den Nahen Osten und Afrika.
Ein Paradebeispiel für den Drehtüreffekt, also für den schnellen Wechsel zwischen Jobs bei staatlichen Stellen und privaten Firmen, finden Corporate Europe Observatory (CEO) und LobbyControl. Die beiden zivilgesellschaftlichen Organisationen beobachten solche Fälle schon seit langem. Wegen dem Werdegang Banasevics haben beide Beschwerde bei seiner früheren Chefin, der Noch-EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, eingelegt.
Schon der Wechsel zur Kanzlei Gibson, Dunn & Crutcher Anfang 2022 rufe große ethische und juristische Bedenken hervor, schreiben Nina Katzemich von LobbyControl und Bram Vranken von CEO in ihrem Brief an Vestager: „Da Herr Banasevic kein Jurist ist, wurde er sehr wahrscheinlich für seine besondere Wettbewerbsexpertise und sein Insiderwissen eingestellt.“
Die Kommission habe ihre Genehmigung für die neue Stelle zwar nur mit Einschränkungen gegeben, weil sie potenzielle oder wahrgenommene Interessenkonflikte befürchtete, schreiben die beiden weiter. Es bleibe aber unklar, welchen Effekt diese Einschränkungen gehabt hätten.
An Verfahren gegen Microsoft beteiligt
Noch kritischer sehen sie aber Banasevics aktuelle Tätigkeit für Microsoft. „Während seiner Zeit bei der Kommission war er an mehreren Schlüsselentscheidungen zu Microsoft beteiligt“, kritisieren Katzemich und Vranken.
Sie nennen besonders zwei Entscheidungen von 2004 und 2009. Im ersten Fall verdonnerte die Kommission Microsoft zu einer Strafe von einer halben Milliarde Euro, weil das Unternehmen seine dominante Stellung bei PC-Betriebssystemen missbrauchte. Mit der zweiten Entscheidung verpflichtete die EU Microsoft unter anderem dazu, Windows-Nutzer:innen einen Auswahlbildschirm für Browser anzuzeigen und so die dominante Stellung des Internet Explorer zu schwächen.
„Herr Banasevics Insider-Wissen, seine berufliche Erfahrung und die Interessen seines aktuellen Arbeitgebers geben Anlass zur Vermutung, dass er seine Verpflichtungen nach Artikel 16 und 17 der Beschäftigungsbedingungen verletzt hat und weiter verletzt“, schreiben Katzemich und Vranken.
Beamt:innen dürfen keine Interna ausplaudern
Artikel 16 der Beschäftigtenbedingungen der EU verpflichtet Kommissionsbeamte dazu, auch nach dem Ende ihrer Beamtenkarriere „bei der Annahme bestimmter Tätigkeiten oder Vorteile ehrenhaft und zurückhaltend zu sein“. Die Kommission hat zudem klargestellt, dass Beamte nie von der anderen Seite an einem Fall arbeiten dürfen, den sie vorher für die Kommission betreut haben.
Der Artikel verbietet außerdem, dass Beamte innerhalb von 12 Monaten nach dem Ende ihrer Laufbahn bei der Kommission Lobbying- oder Beratungsjobs in dem Bereich beginnen, in dem sie davor gearbeitet haben. Bis zu zwei Jahre danach müssen sie die Kommission um Erlaubnis bitten, wenn sie eine neue Stelle antreten wollen. Die kann dann entscheiden, das wegen möglicher Interessenkonflikte zu verhindern.
Artikel 17 verbietet Ex-Beamt:innen, Informationen aus ihrer Tätigkeit bei der Kommission weiterzugeben.
Verbindung zu Microsofts Crowdstrike-Ausrede?
„Jüngste Geschehnisse legen nah, dass Herr Banasevic diese Pflichten verletzt haben könnte“, schreiben die beiden Nichtregierungsorganisationen. Dabei beziehen sie sich auf Microsofts öffentliche Reaktion auf das Crowdstrike-Debakel im Sommer. Damals legte ein fehlerhaftes Update für die Cybersicherheits-Software Crowdstrike Millionen Windows-Computer auf der ganzen Welt lahm.
Microsoft gab damals die Schuld an die EU-Kommission weiter. Mit der Wettbewerbsentscheidung von 2009 sei Microsoft gezwungen worden, Herstellern von Sicherheitssoftware den gleichen Zugang zu Windows zu geben, den Microsoft selbst hat. Man könne deshalb das eigene Betriebssystem nicht so absichern, wie Apple das tut.
Banasevic arbeitet im Brüsseler Büro von Microsoft und könnte Tipps zu dieser Kritik gegeben haben, vermuten LobbyControl und CEO. Sie vermuten, dass er sein Wissen aus seiner Zeit bei der Kommission nutzt, um seinem neuen Arbeitgeber zu helfen – gegen die Interessen seines alten Arbeitgebers. Sie fordern die Kommission deshalb auf, Banasevics Wechsel zu Microsoft im Nachhinein zu blockieren.
Bürgerbeauftragte untersucht weitere Fälle
Der aktuelle Fall ist bei weitem nicht das einzige Beispiel für Wechsel zwischen EU-Behörden und der Privatwirtschaft. Die frühere EU-Kommisarin Neelie Kroes etwa steht in der Kritik, weil sie unter anderem für das Taxi-Unternehmen Uber lobbyierte. Im Frühjahr kritisierte die EU-Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly außerdem den Wechsel von Henrik Morch, einem weiteren Wettbewerbswächter, zu einer amerikanischen Großkanzlei. O’Reilly hat die Kommission schon vor einigen Jahren aufgefordert, Wechsel zu Privatjobs im gleichen Sektor ganz zu verbieten.
O’Reilly untersucht momentan auch zwei Drehtürwechsel von Europol zur Lobbyorganisation Thorn. Thorn setzt sich mit seinem öffentlichen Gesicht Ashton Kutcher seit einiger Zeit für die Chatkontrolle ein und wirbt dabei für seine eigene Software. netzpolitik.org deckte im vergangenen Jahr auf, dass zwei ehemalige Europol-Beamt:innen zu Thorn gewechselt waren.
Die Bürgerbeauftragte untersucht den Fall seit Januar. Dabei führte sie auch ein Gespräch mit Vertreter:innen von Europol, der Bericht ist öffentlich. Diese sagten unter anderem, dass Artikel 16 der Beschäftigungsbedingungen ihnen nicht erlaube, die neuen Jobs von Ex-Beamt:innen zu überwachen. Wer einen neuen Job annimmt, ist selbst dafür zuständig, das bei der Kommission zu melden. Die Behörde darf sie nur an ihre Verpflichtungen erinnern. Das habe Europol auch schon bei verschiedenen Gelegenheiten kritisiert.
Wenn Beamt:innen ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, kann das zu einer Untersuchung mit potenziellen Strafen führen. Die Europol-Beamt:innen betonten aber, dass sie hier auf Basis von Vertrauen arbeiteten. Sie könnten etwa ohne einen klaren Verdacht nicht auf die E-Mails von ehemaligen Beamt:innen zugreifen.
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